
Nach der Abstimmung vom 24. September: Altersvorsorge 2020, und jetzt?
Altersvorsorge 2020, die umfassende Reform des Schweizer Sozialversicherungssystems
Als Abschluss unserer Artikelserie zum umfassenden Reformprojekt «Altersvorsorge 2020» präsentieren wir Ihnen heute:
Nach der Abstimmung vom 24. September: Altersvorsorge 2020, und jetzt?
Die Altersvorsorge 2020, das grosse Reformprojekt der Schweizer Altersvorsorge, hat das Volksmehr und das Ständemehr nicht erreicht. Weder der Bundesbeschluss über die Erhöhung der Mehrwertsteuer noch das Bundesgesetz über die Reform der Altersvorsorge 2020 hat die Abstimmungshürde genommen. Alain Berset und der Bundesrat haben es schliesslich nicht geschafft, eine Mehrheit für die umfassende Rentenreform zu gewinnen, die erstmals die AHV und die berufliche Vorsorge in einem Massnahmenpaket vereinigte.
Während die Prognosen bis zum letzten Moment zurückhaltend blieben, ist das Resultat der Volksabstimmung klar: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wurde zwar nur von einer knappen Mehrheit von 50,05 Prozent der Bevölkerung, aber von elf Kantonen und fünf Halbkantonen abgelehnt. Das Bundesgesetz über die Reform der Altersvorsorge 2020 wurde von einer deutlicheren Mehrheit von 52,7 Prozent der Stimmberechtigten verworfen. Die Analyse der Gründe für diese Ablehnung bedarf natürlich etwas Zeit. Schon klar ist hingegen, dass zu den Hauptgründen für die Ablehnung die Erhöhung des Referenzalters für Frauen sowie die Kompensation des Mindestumwandlungssatzes in der AHV zählen. Über diese beiden Punkte wurde am meisten berichtet und sie haben zu den harschesten Kritiken geführt – zuerst in den eidgenössischen Räten und danach in der Kampagne vor der Abstimmung.
Dieser Misserfolg folgt auf diverse Versuche einer Teilrevision der AHV respektive der beruflichen Vorsorge, die seit 1997, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der 10. AHV-Revision, im Parlament oder beim Volk gescheitert sind: Die 11. AHV-Revision wurde erstmals bei der Volksabstimmung im Jahr 2004 abgelehnt und eine zweite Fassung wurde anschliessend vom Nationalrat verworfen, während bei der beruflichen Vorsorge das Volk 2010 die Vorlage zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf 6,4 Prozent – jedoch ohne Ausgleichsmassnahmen – klar verworfen hatte.
Diese lange Periode von 20 Jahren ohne Kompromissfindung für eine Anpassung unseres Rentensystems an die neuen Gegebenheiten zeigt die Schwierigkeit, Lösungen zu finden, die bei einer Abstimmung in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Mehrheit finden. Während die Notwendigkeit einer Reform der Altersvorsorge in unserem Land unumstritten ist, liegt der Hund bei der Frage nach dem Wie begraben. Mit all ihren Leistungen und Unvollkommenheiten hätte die Altersvorsorge 2020 bis Ende des nächsten Jahrzehnts das Gleichgewicht der AHV und die Stabilität der beruflichen Vorsorge sichern und das Rentenniveau in der obligatorischen Vorsorge aufrechterhalten sollen. Doch was bringt die Zukunft nach dem Nein vom 24. September?
Ohne Korrekturmassnahmen wird sich das AHV-Defizit weiter erhöhen: Das BSV prognostiziert ein jährliches Defizit von bis zu 7 Milliarden Franken bis ins Jahr 2030, mit anschliessend steigender Tendenz. Die Kapitalreserve wäre dann also praktisch aufgebraucht. Bei der beruflichen Vorsorge werden die Finanzierungsprobleme ohne Senkung des Mindestumwandlungssatzes noch zunehmen. Es ist nun Aufgabe des Bundesrats und des Parlaments, eine neue Fassung auszuarbeiten, die eine breitere Allianz schafft und bei der Abstimmung mehrheitsfähig ist. Es handelt sich dabei um eine schwierige Aufgabe, die wiederum von Alain Berset geleitet wird, da er Vorsteher des Eidg. Departement des Innern bleibt. Es empfiehlt sich, sich sofort an die Arbeit zu machen, denn je länger man zuwartet, desto schwierig wird es, eine Lösung zu finden, denn die Massnahmen, die vorgeschlagen werden, müssen gezwungenermassen über diejenigen der Altersvorsorge 2020 hinausgehen.
Wie die neue Vorlage auch aussehen wird, wird sie auf jeden Fall nur ein erster Schritt in einem Prozess sein, der zwangsläufig fortgesetzt werden muss. Denn seit fünf Jahren kommt die Babyboomer-Generation nach und nach ins Rentenalter und wird unser Altersvorsorgesystem noch während rund 15 Jahren zunehmend finanziell belasten, wobei die steigende Lebenserwartung diesen Effekt noch verstärken wird. Auf der anderen Seite machen sich die langfristigeren Herausforderungen der Altersvorsorge heute schon bemerkbar: Die neuen Arbeitsformen sowie die Robotisierung und die Digitalisierung sind Beispiele der grossen gesellschaftlichen Entwicklungen, an die es sich anzupassen gilt.
Man kann also davon ausgehen, dass die Altersvorsorge noch lange Jahre in einem Zustand der permanenten Reform bleiben wird. Es bedarf daher eingehender Überlegungen darüber, wie unser Rentensystem angesichts der neuen demografischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen langfristig finanziert werden kann. Dabei darf es keine Tabuthemen geben und auch unangenehme Fragen müssen gestellt werden!
Um diese Artikelserie über „Vorsorge 2020“ abzuschliessen aber gleichzeitig um die Reflexion über die Vorsorge in ihrer Gesamtheit und ihre bevorstehende Herausforderungen zu erweitern, präsentieren wir Ihnen einen kurzen Film, gedreht von einer jungen Frau, Sarah Rollinet: „Vorsorge 2035 oder wie stellen sich die Jungen die zukünftige Vorsorge vor?“. Dieser Gesprächsdokumentar galt als Einleitung einer Debatte über die Zukunft der Vorsorge, welche sich während der Generalversammlung der SST am 14. September in Lausanne abhielt. Diese Debatte wird demnächst auf unsere Internetseite verfügbar sein.
Senkung des Mehrwertsteuersatzes per 1. Januar 2018!
Die erste Vorlage der Abstimmung vom 24. September war der Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Bei einer Annahme wäre die Mehrwertsteuer in zwei Schritten betroffen gewesen:
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Per 1. Januar 2018 wäre eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,3 Prozentpunkte durch eine Senkung aufgrund des Transfers von 0,3 Prozentpunkten an die AHV kompensiert worden, die bis Ende 2017 an die IV gehen (mit der Konsequenz, dass der Steuersatz bei 8 Prozent geblieben wäre);
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Per 1. Januar 2021 wären zusätzliche 0,3 Prozentpunkte an die AHV gegangen, wodurch der Steuersatz auf 8,3 Prozent gestiegen wäre.
Aufgrund der Ablehnung der Reform werden die 0,3 MwSt.-Prozentpunkt, die bis Ende 2017 an die IV gehen, nicht der AHV zugeteilt, sondern vom aktuellen MwSt.-Satz von 8 Prozent abgezogen. Der Mehrwertsteuersatz sinkt deshalb per 1. Januar 2018 auf 7,7 Prozent!